Mischmethoden im (Reha-)Training
Was denkst du? Darf man in der Reha so trainieren, wie die Folie es zeigt?
Zum Beispiel:
1 x 15 Wdh Body Squat (Wdh = Wiederholungen)
1 x 5 Wdh Bulgarian Split Squat mit 25 kg
1 x 10 Wdh Front Squat mit 20 kg
(Es versteht sich dabei von selbst, dass die Grundsätze: Individuell handeln und Intensität anpassen eingehalten werden. Darum sind es Grundsätze!)
Eine Mischung der verschieden Kraftfertigkeiten (Kraftausdauer, Maximalkraf, Schnellkraft, Power) ist vollkommen natürlich. Stell dir vor, du hilfst jemandem bei Umzug. Du bist schon zwei- dreimal mit leichten Gegenständen die Treppe rauf und runter gegangen (Ausdauer). Jetzt hilfst du das Sofa aus der Wohnung zu transportieren. Das Treppenhaus ist eng und das Sofa schwer. Du kommst aufgrund der Biegung im engen Treppenhaus in Situationen in denen du immer wieder das Gewicht auf einem Bein halten musst (Maximalkraft). Danach transportierst du ein paar mittelschwere Schachteln in den Lastwagen.
Auch viele Berufsleute sind kurz nacheinander verschieden hohen Intensitäten und Kraftfertigkeiten ausgesetzt. Bauarbeiter (Abdelhamid TS, 2002) aber auch Waldarbeiter, Bauern, Lagerarbeiter, Schreiner, Gerüstbauer, Landschaftsgärtner und andere:

Bildquelle: Workplace physical demands and musculoskeletal injury surveillance, Lowe B.
Im therapeutischen Widerstandstraining willst du den Kunden auf die reale Welt vorbereiten. Diese ist leider nicht klinisch und findet nicht im Labor statt. Oft muss hohe Leistung erbracht werden ohne Warm-up. Die Belastungen und Bedingungen in der Arbeitswelt entsprechen nicht der im Spitzensport.
Variation in den Übungen
Toigo Marco (2019, S. 138): “Wenn Sie daher möglichst viele Muskelfasern eines Muskels trainieren möchten (und dies ist hinsichtlich des Aufbaus von Muskelmasse und -kraft sicher ein Ziel), dann empfiehlt es sich, für denselben Muskel mehrere anatomische Funktionen bzw. motorische Aufgaben (Übungen) zu trainieren, anstatt die exakt selbe Übung unzählige Mal zu wiederholen”.
Jedesmal eine andere Übungsvariante auszuführen, führt zu einer veränderten Muskelaktivierung. Durch Variationen “lernt” das zentrale Nervensystem nach Verletzungen und Operationen besser (Gokeler A, 2019). Es lernt auf unterschiedlichstes Situationen zu reagieren und auch das Gewebe wird in unterschiedlichen Bewegungsumfängen auf spätere Sitationen vorbereitet. Es organisiert sich somit selbst.

Bildquelle: (Gokeler A, 2019)
Gemischte Trainingsmethoden
Das Trainieren in verschieden Wdh-Zonen ist nichts Neues. In der Krafttrainingswelt kommt es unter verschiedenen Namen und Varianten vor: Pyramidentraining (aufsteigen, absteigen), Heavy-to-Light System, Hatfield-System und andere. (Freiwald J, 2016. Fleck SJ, 2014. Gottlob A, 2009, Hatfield F, 1984)
Das Hatfield-System (all-in-one) ist mit 2 Sätzen à 4-6 Wdh, 2 Sätze à 12-15 Wdh und 2 Sätze à 20-25 Wdh in einer Trainingseinheit eine stark ausgeprägte Variante des ganzheitlichen Trainings. Diese Methode hat gegenüber von wöchentlichem, wellenförmigen (undulating) Training keinen Nachteil. Es könnte aber für gewisse Sportarten wie Kampfsportarten, Tennis, Klettern eine geeignete Trainingsvariante sein. (Antretter M, 2020.)
Cattan GH (2021): “Das Pyramiden Training ist eine effektive Methode um Kraft, Hypertrophie und Power (Leistung) zu trainieren und gleichzeitig die Muskelausdauer zu verbessern. Es kann ein gutes Training für Ringer sein, die einen stetigen Wechsel zwischen aerober und anaerober Belastung haben”.
In einer Studie wurden 59 Frauen (Durchschnittsalter 67 Jahre) mit kardiovaskulären Erkrankungen acht Wochen lang trainierten. Sie führten Widerstandstraining mit unterschiedlichen Wiederholungszahlen 12/10/8 und 15/10/5 durch. Das Gewicht wurde den Wiederholungszahlen entsprechend gesteigert. Beide Varianten hatten denselben positiven Effekt auf die Erkrankung. Die Autoren finden diese Misch-Trainingsmethoden eine gute Alternative zu den klassischen Methoden. Sie sind motivierender und herausfordernder für die Teilnehmerinnen. (Dos Santos L, 2020)
Abwechslung kann für deine Kunden motivierend sein.
Aber auch in diesem Punkt gilt es individuell zu handeln. Nicht jeder reagiert genau gleich auf das selbe Training (Beaven CM, 2008. Erskine RM, 2010. Pickering C, 2019). Für manche ist eine Art “all-in-one” das Beste. (Angleri V, 2022) Darum muss man ausprobieren und kreativ sein.
Wenn du einen Spitzensportler trainierst, der am Tag X 100% abliefern muss, sieht es wiederum anders aus. Das ist aber bei den meisten Kunden nicht der Fall. Warum sollen also 98% der Kunden so trainieren, wie die vielleicht die 2% Hochleistungssportler müssen?
Rehabilitations- und Fitnesstraining ist nicht Leistungstraining.
Es kann sehr sinnvoll sein zwischenzeitlich gemischt zu trainieren. Gerade wenn es einem Kunden zusagt und ihn motiviert (Antretter M, 2020). Mit Widerstandstraining kann es neben dem Kraftgewinn verschiedene Gründe geben eine Methode anzuwenden. Eben auch psychologische wie Motivation. Siehe auch Blog: Krafttraining vs. Widerstandstraining
Du musst aufpassen, dass du dich im Rehabilitationstraining nicht zu sehr von Bodybuilding- und Spitzensportmethoden leiten lässt. Die zur richtigen Zeit und für die richtige Ausgangslage und Zielsetzung absolut das einzig Richtige sind.
Mischmethoden sind effizient (Antretter M, 2020) und können motivierend wirken. Darum ist es sinnvoll sie in der medizinischen Trainingstherapie anzuwenden.
Stefan Lerch
Abdelhamid, Tariq S., und John G. Everett. „Physiological Demands during Construction Work“. Journal of Construction Engineering and Management 128, Nr. 5 (Oktober 2002): 427–37. https://doi.org/10.1061/(ASCE)0733-9364(2002)128:5(427).
Angleri V, Ugrinowitsch C und Libardi CA. “Individual Muscle Adaptations in different Resistance Training Systems in Well-Trained Men”. Int J Sports Med. (Jan 2022) 43(1):55-60.https://doi.org/10.1055/a-1493-3121
Antretter, M, D Posch, und M Burtscher. „The Hatfield-System vs. Weekly Undulating Periodized Strength Training“. Deutsche Zeitschrift Für Sportmedizin/German Journal of Sports Medicine 71, Nr. 5 (1. Mai 2020): 89–96. https://doi.org/10.5960/dzsm.2020.423.
Beaven, C Martyn, Nicholas D Gill, und Christian J Cook. „Salivary Testosterone and Cortisol Responses in Professional Rugby Players After Four Resistance Exercise Protocols“. Journal of Strength and Conditioning Research 22, Nr. 2 (März 2008): 426–32. https://doi.org/10.1519/JSC.0b013e3181635843.
Cattan, Grégoire Hugues. „Pyramidal Systems in Resistance Training“. Encyclopedia 1, Nr. 2 (28. Mai 2021): 423–32. https://doi.org/10.3390/encyclopedia1020035.
Dos Santos, Leandro, Alex S. Ribeiro, João Pedro Nunes, Crisieli M. Tomeleri, Hellen C. G. Nabuco, Matheus A. Nascimento, Paulo Sugihara Junior, u. a. „Effects of Pyramid Resistance-Training System with Different Repetition Zones on Cardiovascular Risk Factors in Older Women: A Randomized Controlled Trial“. International Journal of Environmental Research and Public Health 17, Nr. 17 (22. August 2020): 6115. https://doi.org/10.3390/ijerph17176115.
Erskine RM, Jones DA, Williams AG, Stewart CE und Degens H. „Inter-Individual Variability in the Adaptation of Human Muscle Specific Tension to Progressive Resistance Training“. Eur J Appl Physiol (2010) 110:1117-1125
https://doi.org/10.1007/s00421-010-1601-9
Fleck SJ., “Designing resistance training programs”, Fourth Ed. (2014), Champaign IL: Human Kinetics
Freiwald J., “Optimales Krafttraining”, (2016), Balingen: Spitta Verlag GmbH & Co. KG
Gokeler, Alli, Dorothee Neuhaus, Anne Benjaminse, Dustin R. Grooms, und Jochen Baumeister. „Principles of Motor Learning to Support Neuroplasticity After ACL Injury: Implications for Optimizing Performance and Reducing Risk of Second ACL Injury“. Sports Medicine 49, Nr. 6 (Juni 2019): 853–65. https://doi.org/10.1007/s40279-019-01058-0.
Gottlob A., “Differenziertes Krafttraining mit Schwerpunkt Wirbelsäule”, 3. Auflage (2009), München: Elsevier GmbH
Hatfield FC., “Bodybuilding a scientific approach”, (1984) Chicago: Contemporary
Toigo M., “Muskel Revolution”, 2. Auflage (2019), Berlin: Springer Verlag GmbH
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